Stellungnahme der Spurenkommission zu den Möglichkeiten und Grenzen der DNA-gestützten Vorhersage äußerer Körpermerkmale, der biogeographischen Herkunft und des Alters unbekannter Personen anhand von Tatortspuren im Rahmen polizeilicher Ermittlungen

Die besonderen Umstände des gewaltsamen Todes der Freiburger Studentin und die Herkunft des minderjährigen Tatverdächtigen aus dem Mittleren Osten haben Anlass zur Forderung durch Polizei und Politik gegeben, erweiterte Möglichkeiten der forensischen DNA-Analyse zu nutzen. Solche Analysen können helfen, Einschätzungen über das Erscheinungsbild und die Herkunft eines unbekannten möglichen Täters zu treffen, die von der Polizei für ihre kriminalistische Ermittlungsarbeit genutzt werden können. Unsere Strafprozessordnung beschränkt die Anwendung der DNA-Analyse im Strafverfahren derzeit auf den sog. nicht-codierenden Bereich des menschlichen Erbguts, der keinerlei Informationen über körperliche Eigenschaften enthält. Einzig das Geschlecht einer unbekannten Person darf anhand von DNA-Merkmalen auf den Geschlechtschromosomen bestimmt werden. Die Strafprozessordnung müsste somit geändert werden, um erweiterte DNA-Analysen zu gestatten, die zumindest teilweise den codierenden Bereich des Erbgutes zum Ziel haben. Eine solche Änderung setzt voraus, dass eine informierte und sachbezogene Diskussion in der Öffentlichkeit geführt wird, damit der mögliche Umfang und die Grenzen einer erweiterten DNA-Analyse unter Beachtung des Persönlichkeits- und des Datenschutzes festgelegt werden können.

 

Daher sollen nachfolgend die wichtigsten wissenschaftlichen Fakten über Art, Umfang und Aussagekraft in Bezug auf drei genetisch bedingte Eigenschaften dargestellt werden:  Vorhersagen in Bezug auf äußere Körpermerkmale, auf die sog. biogeographische Herkunft sowie auf das Alter einer unbekannten Person. Grundsätzlich sind alle diese Eigenschaften nicht individualspezifisch und nur durch eine Wahrscheinlichkeit für ihr Vorliegen beschrieben. Somit sind diese Einschätzungen niemals geeignet, eine einzelne Person zu identifizieren. Wie die Aussagen eines Zeugen können sie nur dazu dienen, den Kreis möglicher Tatverdächtiger einzugrenzen, um gezielter ermitteln zu können. Im Gegensatz jedoch zu einer Zeugenaussage, deren Zuverlässigkeit oftmals fraglich ist und durch äußere Umstände beeinflusst worden sein kann, beruht die DNA-gestützte Vorhersage auf einer durch statistische Berechnungen belegten Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer bestimmten Eigenschaft und beinhaltet die Abschätzung des möglichen Fehlers. Damit ist die Belastbarkeit einer Vorhersage und damit ihre Relevanz im konkreten Fall bekannt und kann von den Ermittlern mit der angemessenen Priorität berücksichtigt werden.

 

Es ist zudem zu beachten, dass eine erweiterte DNA-Analyse nur dann in Betracht zu ziehen ist, wenn das mit der konventionellen DNA-Analyse erhobene individualisierende DNA-Profil in der DNA-Analysedatei (DAD) beim BKA keinen Treffer erzielt hat und es auch aus anderen Quellen keinerlei Hinweise auf mögliche Tatverdächtige gibt. Der Umfang möglicher DNA-Analysen ist bei allen forensischen Spurenfällen durch Menge und Qualität der verfügbaren DNA beschränkt. Außerdem kommen für eine erweiterte DNA-Analyse nur Spuren in Betracht, die von einer einzelnen Person gelegt wurden, da aus DNA-Mischspuren keine eindeutigen Vorhersagen abgeleitet werden können. Die nachfolgend beschriebenen Analysen müssen vor ihrer Routine-Verwendung bei Tatortspuren einer umfassenden forensischen Validierung im Anwenderlabor unterzogen werden.

 

1. Äußere Körpermerkmale

 

Vorhersagen äußerer Körpermerkmale sind derzeit nur mit hinreichender Zuverlässigkeit möglich in Bezug auf die Augen- und Haarfarbe. Unterschiede in Bezug auf diese Eigenschaften werden nur bei Personen europäischer Herkunft beobachtet, da diese genetischen Variationen hier entstanden sind.  Im Rest der Welt haben alle Menschen – mit sehr seltenen Ausnahmen – dunkelbraune bis schwarze Haare und braune Augen. Generell ist die Unterscheidung der am stärksten gegensätzlichen Ausprägungen am zuverlässigsten möglich. Daher ist die Vorhersage der blauen und dunkelbraunen Augenfarbe in 95-98% der Fälle richtig, während bei Vorliegen eines intermediären Typs (also hellbraune, grüne und graue Mischfarben, dies betrifft ca. 15-30% der Fälle) keine so zuverlässige Vorhersage möglich ist. Bei der Haarfarbe wird eine zuverlässige Vorhersage dadurch erschwert, dass die Ergebnisse der genetischen Tests die Haarfarbe eines Jugendlichen beschreiben, die sich mit zunehmendem Alter verändert, d.h. meistens dunkler wird – unabhängig von der Ausbildung grauer Haare. Daher liegen die Vorhersagen im Durchschnitt nur bei 75% der Fälle richtig, wobei schwarze Haare bei 87% liegen, und blonde Haare nur bei 70%. Diese Zahlen beziehen sich auf einen forensisch validierten Test, der für minimale Mengen von Spuren-DNA verwendet werden kann und in den Niederlanden bereits eingesetzt wird.

 

Auch die Hautfarbe kann vorhergesagt werden, allerdings spielt hier die biogeografische Herkunft zusätzlich eine wichtige Rolle, da die helle Hautfarbe der Menschen auf der nördlichen Hemisphäre unabhängig voneinander in Europa und Asien entstanden ist, und daher auch unterschiedliche Gene eine Rolle spielen. Allerdings ist eine eindeutige Beschreibung und Abgrenzung der unterschiedlichen intermediären Hautfarben zwischen dunkel und hell eine Herausforderung, die darüber hinaus durch temporäre UV-abhängige Tönung erschwert wird. Mit den derzeit vorhandenen Tests können Vorhersage­­wahrscheinlichkeiten von 98% für weiße, 95% für schwarze und 84% für eine intermediäre Hautfarbe erzielt werden.

 

Weitere äußere Körpermerkmale, die derzeit erforscht werden, sind die Körpergröße, die sich als extrem komplexe Eigenschaft darstellt und nur zu ca. 80% erblich ist, sowie die Haarstruktur (glatt, gelockt, gekräuselt) sowie der erbliche bedingte Haarausfall bei Männern. Auch die Gene, die für Form und Merkmale des Gesichts verantwortlich sind, werden erforscht, aber das Ziel der Erstellung eines „genetischen Phantombildes“ liegt noch in weiter Ferne. Diese komplexen Eigenschaften werden durch Hunderte von bisher kaum bekannten Genen beschrieben. Die dafür notwendige „Klassifizierung“ der relevanten Gesichtsmerkmale wird dadurch erschwert, dass es für praktisch jedes Merkmal alle Übergangsformen gibt.

 

2. Biogeographische Herkunft

 

Die biogeographische Herkunft eines Menschen beruht ausschließlich auf den genetischen Wurzeln seiner Vorfahren. Soziale, kulturelle und religiöse Kriterien spielen dabei keine Rolle, daher sollte der Begriff der „Ethnizität“ oder „Ethnie“ in diesem Zusammenhang nicht verwendet werden. Die Unterschiede in Bezug auf die bio­geographische Herkunft weltweiter Populationen sind das Ergebnis von Mutations- und Selektionseffekten, die dazu geführt haben, dass es für jede Kontinentalregion charakteristische Merkmale in der DNA gibt, die nur dort zu finden sind, oder die in einer Region sehr häufig und in einer anderen sehr selten vorkommen. Es gibt inzwischen aussagekräftige und forensisch validierte DNA-Tests, die geeignet sind, aus minimalen DNA-Mengen die kontinentale Herkunft einer Person aus Europa, Afrika, Ostasien, Ozeanien und Amerika (hier die indigene Bevölkerung) mit über 99,9% Wahrscheinlichkeit vorherzusagen.

 

Diese Wahrscheinlichkeit sinkt jedoch sehr schnell, wenn man die Herkunft auf subkontinentaler Ebene untersucht, da genetische Durchmischungseffekte die Aussagekraft deutlich reduzieren. Hier ist aus europäischer Sicht Asien ein relevantes Beispiel. So lassen sich die Einwohner von Ostasien (z.B. China, Japan) und Südasien (der indische Subkontinent) noch gut unterscheiden. Je weiter man sich jedoch nach Westen in Richtung Europa bewegt, umso schwieriger wird die Unterscheidung aufgrund der vielfältigen Wanderungsbewegungen in beide Richtungen, die in den letzten 2000 Jahren erfolgt sind. Nord- und Südamerika stellen dagegen aufgrund der massiven europäischen Einwanderungswellen der letzten 500 Jahre Sonderfälle dar.

 

Die Qualität der Vorhersagen zur biogeographischen Herkunft hängt zudem wesentlich von der Qualität der verfügbaren Referenzdaten ab. Bei diesen handelt es sich um repräsentative Sammlungen anonymisierter genetischer Daten von Personen mit bekannter Herkunft, die im Rahmen wissenschaftlicher Studien erhoben wurden. Die Vorhersagen in Bezug auf unbekannte Personen können daher nur das Herkunfts­spektrum beschreiben, das in den Referenzdaten abgebildet ist. Wenn eine unbekannte Person aus einer Region kommt, die in diesen Referenzdaten nicht enthalten ist, so kann es zu falschen Vorhersagen kommen. Eine Unterscheidung der Herkunft nach politisch und historisch definierten Ländern innerhalb der Kontinente ist nicht möglich, da innerhalb subkontinentaler Regionen keine ausreichenden genetischen Unterschiede vorliegen.

 

3. Chronologisches Alter

 

Die Vorhersage des Alters beruht auf der Tatsache, dass sich die Aktivität bestimmter Gene mit zunehmendem Lebensalter verändert. Diese Veränderung erfolgt durch eine zu- oder abnehmende chemische Modifikation bestimmter Abschnitte der DNA, in denen die Gene reguliert werden. Da die DNA-Sequenz durch die als Methylierung bezeichnete Modifikation unverändert bleibt und gewebespezifisch erfolgt, wird dieses Forschungsgebiet als Epigenetik bezeichnet. Die Methylierungsanalyse besitzt kein individualisierendes Potenzial und es ist daher aus unserer Sicht auch keine molekulargenetische Untersuchung im Sinne der Strafprozessordnung.

 

Die bisher etablierten Methoden zur altersabhängigen Methylierungs­analyse beruhen auf der Untersuchung von Blutproben und gestatten es, das Alter mit einer mittleren Abweichung von ca. 4-5 Jahren vorherzusagen. Die Korrelation gilt für einen Altersbereich von ca. 20-60 Jahren, bei jüngeren und älteren Personen führen biologische Prozesse in Bezug auf Wachstum und Krankheiten zur einer stärkeren Streuung, die eine vergleichbar genaue Vorhersage beeinträchtigen. Für die Anwendung bei Tatortspuren sind die Etablierung vergleichbarer Analysen für andere Spurenarten als Blut (z.B. Speichel, Spermasekret) sowie eine umfassende forensische Validierung in Bezug auf die Anforderungen an Menge und Qualität der DNA erforderlich. Die Vorhersage des Alters besitzt ein erhebliches kriminalistisches Potential und bietet einen größeren praktischen Nutzen als Vorhersagen in Bezug auf die Augen- und Haarfarbe.

 

Für die Anwendung im Strafverfahren ist eine Abwägung des Nutzens der erweiterten DNA-Analyse gegenüber den möglichen Risiken in Bezug auf mögliche Verletzungen der genetischen Privatsphäre und des Datenschutzes wünschenswert. Dabei sollte jedoch berücksichtigt werden, dass diese Art der Analyse zunächst nur an aufgefundenem und keiner Person zugeordnetem Spurenmaterial erfolgt, und zwar auch nur dann, wenn es keinen Treffer in der DNA-Analysedatei (DAD) beim BKA gibt. Es besteht zudem überhaupt kein Erfordernis einer Speicherung der erweiterten genetischen Daten in der DAD. Die Ergebnisse der Vorhersagen können ausschließlich in Form von Wahrscheinlichkeiten für die vorhergesagten äußeren Körpermerkmale, das Alter oder die biogeographische Herkunft an die ermittelnden Polizeidienststellen mitgeteilt werden. Die genetischen Rohdaten können zunächst im Labor verbleiben und später gelöscht werden. Durch die konsequente Beschränkung der erweiterten DNA-Analyse auf Aussehen, Herkunft und Alter werden somit nur Eigenschaften ermittelt, die später zwangsläufig aufgedeckt werden, sollte die Spur einer konkreten Person zugeordnet werden und deren Aussehen und Herkunft daher bekannt sein.

Prof. Dr. Peter M. Schneider (Vorsitzender), für die Gemeinsame Spurenkommission der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute

Institut für Rechtsmedizin, Universitätsklinikum Köln <peter.schneider@uk-koeln.de>

 

Die Spurenkommission ist eine gemeinsame Kommission der rechtsmedizinischen und kriminaltechnischen Institute in Deutschland. Sie wurde als Einrichtung der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin gegründet und hat je vier Vertreter aus der Rechtsmedizin sowie der Kriminaltechnik. Sie organisiert die GEDNAP-Spurenringversuche zur Qualitätssicherung der DNA-Analysen im Strafverfahren und veröffentlicht wissenschaftliche Empfehlungen . Näheres unter http://www.gednap.org/de/spurenkommission/.

 

Hier finden Sie die Stellungnahme als PDF.

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